Nachweis der kürzeren Nutzungsdauer eines Gebäudes
Kann nur mit Hilfe eines Gutachtens auf Basis der Wertermittlungsverordnung eine kürzere Nutzungsdauer nachgewiesen werden? Ein Urteil des Finanzgerichts Münster beantwortete diese Frage umfangreich.
Das Einkommensteuergesetz legt die Abschreibungsdauer von Gebäuden fest (§ 7 Abs. 4 EStG). Die Gesetzesvorschrift enthält allerdings auch eine Öffnungsklausel: Beträgt die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes weniger (…), so können (…) die der tatsächlichen Nutzungsdauer entsprechenden Absetzungen für Abnutzung vorgenommen werden (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG). Dabei ist es Sache des Steuerpflichtigen, eine kürzere Nutzungsdauer nachzuweisen, denn schließlich verringert sich dadurch die Abschreibungsdauer, was regelmäßig zu einem größeren Steuervorteil führt.
Vor dem Finanzgericht Münster wurde darüber gestritten, auf welchem Weg eine geltend gemachte kürzere Nutzungsdauer nachgewiesen werden kann. Im konkreten Fall legte der Kläger ein Wertgutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vor, das vom Amtsgericht in Auftrag gegeben worden war. Mit Hilfe des Wertgutachtens sollte der Verkehrswert eines Gebäudes, das für die Zwangsversteigerung vorgesehen war, ermittelt werden.
Im Rahmen einer modellhaften Ermittlung der Restnutzungsdauer führte der Gutachter sowohl eine Ertragswertermittlung als auch eine Vergleichswertermittlung nach der für den Bewertungsstichtag gültigen Wertermittlungsverordnung (WertV) durch. Dadurch gelangte der Sachverständige zu einer kürzeren Nutzungsdauer als vom Einkommensteuergesetz vorgesehen.
Das Gericht stellte die Zulässigkeit der vom Gutachter gewählten Darlegungsmethode fest, da sich diese dafür eignet, den erforderlichen Wertnachweis zu erbringen. Alternativ zu einem Wertgutachten nach der WertV hätte auch das in der Anlage vier zur Sachwertrichtlinie niedergelegte Modell zur Bestimmung des Verkehrswerts herangezogen werden können. Nicht erforderlich ist die Erstellung und Vorlage eines Bausubstanzgutachtens, was immer noch die vorherrschende Auffassung der Finanzverwaltung ist (Urteil vom 27.1.2022, 1 K 1741/18 E).