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Pharmazeutische Dienstleistungen – Eindrücke aus der Praxis

Welche Chancen sehen unsere Mandanten beim Angebot von pharmazeutischen Dienstleistungen und wo besteht noch Handlungsbedarf? Wir haben nachgefragt.

13. Februar 2023
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Pharmazeutische Dienstleistungen – Eindrücke aus der Praxis

Seit dem 10. Juni 2022 dürfen Apotheken in Deutschland bereits die fünf neuen pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) erbringen. Die große Besonderheit daran ist, dass nun eigenständig Beratungsleistungen durch die Apotheke abgerechnet werden dürfen, ohne dass daran eine Arzneimittelabgabe geknüpft ist. Dies war bislang nur den Ärzten vorbehalten.

Schiedsspruch: Fünf pharmazeutische Dienstleistungen stehen fest

Um die Pharmazeuten dabei zu unterstützen, die pDL schnellstmöglich anbieten zu können, stellt die ABDA eine Vielzahl an Informationsmaterialien und Arbeitshilfen wie beispielsweise Muster-Formulare zur Verfügung. Auch die Website des Nacht- und Notdienstfonds des DAV e.V. (NNF), der das Budget organisiert und die Ausschüttung an die Apotheken vornimmt, bietet viele Angaben und Hilfestellungen zu den Honoraren sowie Abrechnungsmodalitäten. Doch welche Erfahrungen haben Apotheker mit den pDL gemacht? Wir haben die aktuellen Eindrücke unserer Mandanten für Sie zusammengefasst.

Welche Erfahrungen spiegeln uns unsere Mandanten aus der Praxis?

Drei Monate nach dem Startschuss der pharmazeutischen Dienstleistungen diskutierten wir in acht ERFA-Gruppen der Treuhand Hannover und in zwei Seminaren des Treuhand DIALOGs die Erfahrungen und Herausforderungen unserer Mandanten und Partner. Wie lautet also ein erstes Fazit aus der Praxis?

Zunächst einmal ist das Interesse groß – unabhängig davon, ob bereits pDL angeboten wurden oder die Umsetzung noch zögerlich gehandhabt wurde. Die Teilnehmer wurden in den Veranstaltungen darum gebeten, Schlagworte zu nennen, die sie besonders an den pDL interessieren. Das Resultat war eine Flut an Themenbereichen, die sowohl positiv und neugierig waren als auch sehr kritisch. Allgemein scheint das Meinungsbild zu den pharmazeutischen Dienstleistungen konträr zu sein. Ein grundsätzliches Ablehnen des Angebots kam jedoch nur sehr vereinzelt vor. Besonders groß war das Interesse im Bereich der erfolgreichen Implementierung, dicht gefolgt von den betriebswirtschaftlichen Gegenüberstellungen von Kosten und Honoraren. Ein dritter Aspekt bezog sich zusammengefasst auf den generellen Aufwand, der mit dem Angebot der pharmazeutischen Dienstleistungen einhergeht.

Pharmazeutische Dienstleistungen: Präferenzen zwischen den einzelnen Dienstleistungen erkennbar

Im gemeinsamen Austausch zeigte sich schnell, dass besonders zwei Dienstleistungen bevorzugt und im Vergleich zu den drei übrigen als deutlich relevanter eingestuft werden. In den Augen der Apotheker ist die Inhalationsschulung die beste der fünf Dienstleistungen. Die Gründe hierfür sind zahlreich: überschaubarer Zeitaufwand, Beratungskompetenz ist bereits gegeben, keine verpflichtende Fortbildung nötig, Beratung durch PTAs möglich sowie leichte Integrierbarkeit ins Alltagsgeschäft. Da viele die Inhalationsschulung sowieso bereits durchführen, sollte die neue Abrechenbarkeit einer alltäglichen Beratungsleistung genutzt werden.

Nur knapp hinter der Inhalationsschulung ist die erweiterte Medikationsberatung platziert worden. Die Medikationsanalyse ist die Dienstleistung, die aufgrund ihrer Komplexität und ihres Aufwands am höchsten vergütet wird. Die Apotheker berichteten von einem großen Potenzial, denn wie leicht können Patienten unter Polymedikation den Überblick verlieren, wenn ihr Medikationsplan nicht korrekt gepflegt sei. Dies verdeutlicht auch eine Studie, die im Zuge des ARMIN-Projektes entstand, in der 288 Medikationspläne von Patienten mit mindestens acht Medikamenten in Dauermedikation ausgewertet wurden und das erschreckende Ergebnis aufzeigte, dass kein einziger Plan aktuell und vollständig war. Gerade also im Sinne der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) ist die abrechenbare Medikationsberatung in der Apotheke ein Meilenstein. Berichtet wurde außerdem von vielen Patienten, die dankbar sind, sich in ihrer Apotheke beraten zu lassen und somit neben ihrem Arzt eine weitere Beratungsoption zu haben. Als Gegenstück dazu sind auch die Apotheker glücklich darüber, ihre Beratungsqualitäten noch mehr zeigen zu können. Als sehr nachteilig gegenüber der Inhalationsschulung wird jedoch der enorme Zeitaufwand gesehen. Eine weitere Einschränkung stellt die ausschließliche Beratung durch gesondert geschultes, approbiertes Personal dar.

Die Meinungen unserer Mandanten spalten sich, wenn es zur Bewertung des Blutdruck-Checks kommt. Einerseits wird argumentiert, dass das Honorar durch den geringen Zeitaufwand und die einfache Handhabung abgerechnet werden sollte. Zudem darf diese Dienstleistung auch durch nicht vollständig ausgebildete Pharmazeuten und PTAs im Praktikum geleistet werden. Andererseits wird dem ein begrenzter Bedarf entgegengesetzt, da Patienten mit verordnetem Antihypertensivum in vielen Fällen privat oder beim Arzt regelmäßig ihren Blutdruck überprüfen würden, sodass das Angebot in der Apotheke und der damit verbundene Aufwand nicht nötig sei sowie keinen Mehrwert für den Patienten bringe.

Die pharmazeutische Betreuung von Patienten mit oraler Antitumortherapie oder nach einer Organtransplantation wird aus Sicht der Apotheke als am wenigsten relevant eingestuft. Zwei Gründe werden hier angeführt: die fehlende Patientendichte und die bereits engmaschige Betreuung durch den behandelnden Arzt.

Wie aktiv sind unsere befragten Apotheker?

Von den insgesamt 91 Teilnehmern unserer Veranstaltungen waren bis zur Befragung im Oktober beziehungsweise November 2022 bislang 49 Prozent zögerlich im Angebot der pDL, welches durch Personalengpässe oder noch ausstehende Überlegungen, wie man richtig startet, begründet wurde. Demnach haben aber 51 Prozent mindestens eine pharmazeutische Dienstleistung durchgeführt und abgerechnet.

Von diesen 51 Prozent führten 32 Apotheken Inhalationsschulungen durch, von 29 Apotheken wurden Medikationspläne analysiert und besprochen. Ebenfalls 29 Apotheken tätigen Blutdruck-Checks und in einer Apotheke wurden Patienten mit oraler Antitumortherapie beraten. Die Dienstleistung der pharmazeutischen Betreuung von Patienten nach einer Organtransplantation wurde in dieser Apothekergruppe nicht erbracht.

Der Nacht- und Notdienstfonds teilte zum Jahresende 2022 mit, dass deutschlandweit die Anzahl der erbrachten pharmazeutischen Dienstleistungen seit Start im Juni stetig steige. In Zahlen ausgedrückt wurden im dritten Quartal insgesamt 598.974,01 Euro an die Apotheken ausgeschüttet. Dies gliedert sich auf in etwa 8.110 Inhalationsschulungen, 3.962 Blutdruck-Checks und 3.235 Medikationsberatungen.

Erfahrungsaustausch zur Umsetzung und zu bewältigende Schwierigkeiten bei pharmazeutischen Dienstleistungen

Dadurch, dass in den Gruppen etwa zur Hälfte bereits die pharmazeutischen Dienstleistungen angeboten wurden und zur Hälfte noch nicht, kam es zu einem regen Erfahrungsaustausch. Auf geäußerte Schwierigkeiten folgten Lösungsansätze sowie Unterstützungsangebote, aber auch kritische Bedenken wurden geäußert und reflektiert.

Ein zentraler Aspekt, der in jeder Gruppe diskutiert wurde, war die bestmögliche Kundenansprache.
Dabei ist zunächst die mögliche Hemmschwelle beim Personal abzubauen, die sich auf das über eine Arzneimittelabgabe hinausgehende Beratungsangebot bezieht. Der Verkauf von physischen Produkten sei gewohnte Routine – eine Beratungsleistung hingegen Neuland. Um die Komfortzone schnell verlassen zu können, empfiehlt sich das Üben mit Familienangehörigen, Freunden und Stammkunden. So wird schnell an Sicherheit gewonnen. Naheliegende Aufhänger für eine Ansprache sind außerdem geäußerte Probleme von Kunden, die Frage nach der Anzahl an Medikamenten oder die Abgabe von Inhalations-Devices.

Um den Apothekeninhabern mit der Implementierung der pDL zu entlasten, wurde außerdem von einer Verlagerung der Verantwortlichkeit auf die Mitarbeiter berichtet. Dabei wurden die Dienstleistungen, die in der jeweiligen Apotheke angeboten werden sollen, auf verschiedene Mitarbeiter aufgeteilt. Diese erarbeiteten Arbeitsabläufe und Hilfestellungen, um so das Angebot parallel voranzubringen.

Ein sehr kritisch diskutierter Aspekt war die Ansprache der Ärzte. Seitens der ABDA wird klar empfohlen, die für die Apotheken wichtigen Verschreiber transparent über die angebotenen pDL zu informieren. Aufgrund der negativen Reaktionen aus der Ärzteschaft sehen davon jedoch viele ab. Wenn aber ein direkter Kontakt zu den Ärzten diesbezüglich gesucht wird, müsse klar herausgestellt werden, dass es der Apothekerschaft nicht um eine Fehlersuche oder Kontrolle geht. Durch die Medikationsberatung kann Unterstützung geleistet werden, indem den Patienten der Medikationsplan erklärt wird und dieser bei gestörtem Informationsfluss zwischen Haus- und Fachärzten aktuell gehalten wird – ohne die Medikation zu ändern.

Übereinstimmende Meinungen gab es hingegen bei den bürokratischen Dingen. Vor allem das Abrechnungsverfahren sowie die Patientenformalitäten hindern den einfachen und schlanken Ablauf. Auch verstärken sie die Hemmschwelle bei der Kundenansprache. Denn für einen kurzen Blutdruck-Check sei es unpassend, sämtliche Unterschriften einzuholen. Generell sind auch auf betriebswirtschaftliche Weise die pDL nur sinnvoll, wenn sie mit geringem Zeitaufwand durchgeführt werden können. Die formalen Arbeitsschritte sollten daher weiter gekürzt werden.

Zeit ist Geld: Aufwand vs. Honorar

Vielfach diskutiert wurde ebenfalls der Zeitaufwand der einzelnen Dienstleistungen. Laut Schiedsspruch ist mit folgenden durchschnittlichen Zeitrahmen zu kalkulieren:

  • Erweiterte Medikationsberatungen sowie pharmazeutische Betreuung bei oraler Antitumortherapie und bei Organtransplantation: 80 Minuten
  • Inhalations-Schulung: 25 Minuten
  • Blutdruck-Check: 14 Minuten

Durch die dreimalige Messung beim Blutdruck-Check inklusiver kurzer Ruhepausen ist die Zeit für diese Dienstleistung knapp darstellbar. Es ist aber wiederum zu erwähnen, dass die Formalitäten den Zeitaufwand oftmals erhöhen. Bei der Inhalationsschulung waren sich die Teilnehmer einig, dass diese Dienstleistung auch in kürzerer Zeit leistbar ist. Problematischer hingegen ist die Zeitkalkulation bei der Medikationsanalyse. Durchschnittliche 80 Minuten seien hier bislang nicht darstellbar. Die umfangreiche Aufnahme, Analyse und das Beratungsgespräch stellen hier einen so großen Aufwand dar, dass nun geschaut werden muss, inwieweit durch Routine oder eine Softwareunterstützung die Beratungszeit geschmälert werden kann. Im Gegensatz zur Inhalationsschulung oder zum Blutdruck-Check ist die Medikationsanalyse auch deutlich individueller und weniger standardisierbar, welches den Zeitaufwand schwerer kalkulieren lässt.

Aus Kosten-Nutzen-Sicht sollte generell bei den pharmazeutischen Dienstleistungen darauf geachtet werden, falls möglich, PTAs (oder sogar Praktikanten) anstelle von Approbierten einzusetzen, da dies aufgrund der unterschiedlichen Personalkosten deutliche Auswirkungen zeigt. Das Honorar ist bereits sehr eng an die durchschnittlichen Beratungszeiten laut des Schiedsspruchs kalkuliert worden, sodass für ein positives Kosten-Nutzen-Ergebnis die angegebenen Zeiten eingehalten oder falls möglich, unterschritten werden sollten.

Der Gesamtnutzen der pharmazeutischen Dienstleistungen

Trotz des geringen monetären Anreizes sind die Seminarteilnehmer nahezu vollständig davon überzeugt, dass die pharmazeutischen Dienstleistungen eine große Chance für die Apotheken bereithalten und jeder sie anbieten sollte. Die Praxiserfahrung der Teilnehmer zeigte, dass die pharmazeutischen Dienstleistungen sich unmittelbar auf die Kundenbindung auswirken. Auch die Kontaktpflege wird gefördert, da der Austausch zwischen dem Patienten und dem pharmazeutischen Mitarbeiter beim nächsten Kontakt auf einer tieferen Ebene geschieht als ohne eine Beratung. Ebenfalls spielt die Kundenneugewinnung eine Rolle, die von den Praktikern gerne mit der Situation der Corona-Bürgertestungen verglichen wurde. Neue Angebote bieten die Chance, parallele Rezepteinlösungen abschöpfen zu können und diese Kunden wiederum durch überzeugende Beratung sowie Service zu halten. Dadurch wird auch ein Vorteil gegenüber Mitbewerbern generiert. Dieser Vorteil erstreckt sich auch auf den Bereich des Personals. Unsere Seminarteilnehmer führten an, dass sowohl die fachliche Weiterentwicklung sich positiv auf die Arbeitgeberattraktivität auswirkt als auch die Tatsache, dass Approbierte und vor allem PTAs nicht nur als eine Art pharmazeutische Verkäufer, sondern als Berater auftreten können. Generell wird die Chance der pDL, seine Beratungsqualitäten beweisen zu können, als notwendig und wichtig empfunden, um das Berufsbild auszuwerten. So können durch das breite Aufgabenfeld Mitarbeiter gehalten und auch gewonnen werden. Beispielsweise möchten verschiedene Veranstaltungsteilnehmer nun in die Stellenausschreibungen die Beratung im Zuge der pDL mit aufnehmen.

Zusammengefasst zeigt sich, dass durch die Vielfalt sowie Individualität von Dienstleistungen und Kunden der organisatorische sowie zeitliche Aufwand der Beratung nicht zu unterschätzen ist. Es ist vorrangig zu planen, welche Dienstleistungen wann, von wem und wie angeboten werden können. Wenngleich die finanziellen Anreize zu vernachlässigen sind, sollte doch das Geld aus dem Topf abgeschöpft werden, um die richtigen politischen Signale zu senden. Gleichzeitig bieten die pDL eine einmalige Möglichkeit, das Apothekenimage zu fördern und gegenüber Kunden und Fachkräften den Auftritt zu stärken.

Quelle: Pharmazeutische Zeitung vom 12.05.2022, 167. Jahrgang, 19. Ausgabe, S. 32, Autorin: Daniela Hüttemann